BPMN vs. CMMN
Welches ist die richtige Prozessbeschreibungssprache? Oder: Die Suche nach der perfekten Notation für Case Management.
Im ersten Teil unserer Artikelserie zum Thema Case Management haben wir den Begriff Case Management sowie dessen Historie eingeführt und bereits erste Abgrenzungen zum klassischen Prozessmanagement betrachtet. In diesem Artikel wollen wir die unterschiedlichen Merkmale von Prozess vs. Case nochmals vertiefen und die Varianten einer grafischen Notation betrachten.
Was ist eine grafische Notation und wozu wird sie benötigt?
Eine grafische Notation ist eine visuelle Beschreibungssprache. Sie dient der Vereinfachung von komplexen technischen Abläufen, um sie Personen ohne starken Technologiebezug zugänglich zu machen. Im Bereich des Prozess- und Case Managements können Fachabteilungen und Business-Analysten dank grafischer Notationen Abläufe modellieren, analysieren und auch ändern. Hierbei müssen sie die dahinterliegende Implementierungstechnologie nicht kennen. Das grafische Modell wird anschließend im Hintergrund durch entsprechende Softwareprodukte in ein technisches Ausführungsmodell übersetzt und ausgeführt.
Eine grafische Notation samt zugehörigem Ausführungsmodell ermöglicht somit ein gemeinsames Verständnis zwischen der Fachabteilung und den Experten für die technische Implementierung. Zusätzlich können gegenüber einer Individualimplementierung der Workflows Zeit und Kosten eingespart werden. Denn beim Einsatz einer be- währten Ausführungsplattform muss in der Regel wenig individueller Code geschrieben und getestet werden.
Allseits bekannt: Business Process Model and Notation
Der Platzhirsch unter den grafischen Prozessnotationen ist sicher die Business Process Model and Notation (BPMN). Bereits 2004 als Standard veröffentlicht, liegen mittlerweile zahllose Implementierungen in Produkten namhafter Hersteller vor. Ergänzend zur BPMN wurde 2014 die Case Management Model and Notation (CMMN) mit einem Fokus auf Case Management-Abläufe veröffentlicht. Im Folgenden möchten wir diese bestehenden Standards kritisch auf ihre Eignung für Case Management betrachten sowie potenzielle Alternativen aufzeigen.
Was unterscheidet einen Prozess von einem Case?
Prozess
Definierte (oder auch: strikte) sequenzielle Abfolgen von Aktionen, die zu einem gewünschten Ergebnis führen. Alternative und optionale Pfade sind möglich, müssen aber immer explizit modelliert sein. Als Beispiel sei eine Reisebuchung angeführt. Diese beginnt immer mit einer Anmeldung/Datenerfassung. Im Anschluss werden wahlweise Flug, Hotel und/oder Mietwagen gebucht. Der Prozess endet stets in der Bezahlung.
Case
Ebenso wie ein Prozess wird ein Case durch eine Abfolge von Aktivitäten definiert. Allerdings bestimmen hier primär menschliches Wissen und die Kollaboration von Experten darüber, wie Reihenfolge und Ausführung der Aktivitäten aussehen. Die Entscheidung, was wann auf dem Weg zum Ziel geschieht, obliegt hierbei dem Case Owner. Dieser kann auch jederzeit spontan in einen Ablauf eingreifen. Als gutes Beispiel dient eine medizinische Diagnose: Dem behandelnden Arzt steht ein Repertoire an diagnostischen Optionen zur Verfügung. Doch alleine der Arzt entscheidet, welche Tests er in welcher Reihenfolge anordnet, um eine fundierte Diagnose zu stellen. Eine geeignete Notation muss folglich ohne Zwang zur sequenziellen Abarbeitung auskommen.
Die Grenzen zwischen Prozess und Case sind natürlich fließend. Ein wesentliches Charakteristikum, welches den Unterschied schön beschreibt ist:
Der Platzhirsch mit Schwächen: BPMN
BPMN ist als Beschreibungs- sowie Ausführungsstandard für Geschäftsabläufe das Maß aller Dinge und hat sich auf breiter Front durchgesetzt. Es existiert eine große Akzeptanz des Standards sowie zahllose Implementierungen, sowohl in reinen Modellierungswerkzeugen als auch auf Plattformen zur digitalisierten Ausführung von Geschäftsprozessen.
Bedingte Eignung für Case Management
BPMN wurde mit einem ausschließlichen Fokus auf Prozessmanagement kreiert und offenbart hierdurch – wenig überraschend – Schwächen bei Abläufen der Gattung Case Management.
In BPMN modellierte Abläufe sind starr. Sie bieten wenig Spielraum für Ausbrüche vom vorgesehenen Vorgehen, sofern diese nicht explizit durch Verbindungen modelliert sind. Dies widerspricht grundsätzlich der Konzeption von Case Management. Werden Case-basierte Abläufe in BPMN gepresst, führt dies sehr schnell zu einer Spaghettiartigen Struktur und überkomplexen Modellen, da jede Aktivität Pfade zu allen anderen möglichen Aktivitäten bieten muss. Prozesse in BPMN sind stets sequenziell orientiert. Die Rückkehr zu einer bereits durchgeführten Aktivität ist nicht vorgesehen. Hat ein Benutzer eine Information vergessen oder möchte aufgrund neuer Erkenntnisse eine Korrektur vornehmen, ist hier Frust vorprogrammiert.
Die passgenaue, aber erfolglose Alternative CMMN
Glücklicherweise hat die Object Management Group OMG, die Organisation welche auch den BPMN-Standard definiert und pflegt, auf die Lücken reagiert. Mit CMMN hat OMG einen extra Standard geschaffen. CMMN nimmt sich exakt der oben beschriebenen Herausforderungen an und bietet eine auf die Spezifika von Case Management abgestimmte Modellierungssprache.
CMMN ist hierbei alles andere als neu. Die Version 1.0 erschien 2014, gefolgt von einer überarbeiteten Fassung 1.1 in 2016. Zum Entstehungszeitpunkt dieses Artikels in 2020 liegen jedoch im Vergleich zu BPMN nach wie vor eine geringe Zahl an Literatur, Fachartikeln und Konferenzvorträgen vor. Eine Recherche nach aktiven Implementierungen namhafter Hersteller resultierte in weniger als einer Handvoll Umsetzungen des Standards. Daher ist zu bezweifeln, dass CMMN sich als Industriestandard etabliert hat oder dies noch tun wird.
Fazit und Alternativen
Case Management findet sich in einer Vielzahl von Vorgängen unseres täglichen Lebens und bildet das Fundament für unternehmenskritische Abläufe. Gleichzeitig existiert kein wirklich etablierter Standard, um diese Abläufe grafisch zu modellieren und auszuführen.
Deshalb haben wir mit unserer Case Management Lösung ConSol CM eine eigene grafische Notation entwickelt und über die Jahre verbessert. Die Wurzeln von ConSol CM liegen in der Modellierung komplexer Helpdesk- und Supportprozesse, einer traditionellen Case Management-Domäne.
Über die Jahre ist unsere Software in viele Unternehmensbereiche wie beispielsweise CRM, Antragsprozesse & investigative Prozesse wie Untersuchungen von Fehlverhalten im Finanz- und Gesundheitswesen hineingewachsen.
Das Kundenfeedback und Einflüsse der unterschiedlichen Nutzungsarten haben zu einer leichtgewichtigen und pragmatischen grafischen Notation geführt. ConSol CM kann Prozesse, Cases sowie Mischformen aus beidem gleichermaßen elegant modellieren und ausführen.